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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 18.10.2006
Aktenzeichen: 1 U 19/06
Rechtsgebiete: ZPO
Vorschriften:
ZPO § 142 I 1 |
Gründe:
A. Der Kläger betreibt in von seiner Großmutter, der Zeugin Z1, gemieteten Räumlichkeiten ein Aquaristik-Studio. Das Haus der Großmutter wurde über zwei Anschlussleitungen in den städtischen Kanal entwässert. Die Abflussleitung des vorderen Gebäudeteils war nicht entsprechend anerkannten technischen Regeln unmittelbar an die Kanalleitung angeschlossen, sondern entweder an einen Sinkkasten oder an dessen Verbindungsleitung zum Kanalrohr; sie blieb deshalb bei einer Kamerauntersuchung, die der Erneuerung des Kanals voraus ging, unentdeckt. Im Zuge dieser Erneuerungsarbeiten wurde die genannte Abflussleitung mit Beton verfüllt ("verdimmt"), so dass sie ihre Funktion nicht mehr erfüllen konnte. Es kam infolge dessen zu einem Rückstau, der zu - im Detail streitigen - Schäden am Haus der Großmutter und an der Ladeneinrichtung des Klägers führte. Dieser nimmt die die Kanalbauarbeiten veranlassende Gemeinde (Beklagte zu 1.), das diese Arbeiten planende und beaufsichtigende Ingenieurbüro (Beklagte zu 2.) und das ausführende Tiefbauunternehmen (Beklagte zu 3.) auf Schadensersatz in Anspruch.
Zur Darstellung der Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes nimmt der Senat auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils Bezug.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.
Mit der Berufung begehrt der Kläger nur noch den Ersatz des ihm selbst entstandenen, auf 9.973,11 € bezifferten Schadens. Er rügt, das Landgericht habe es versäumt, den von ihm angebotenen Sachverständigenbeweis zur Abdichtung der Abflussleitung zu erheben. Der Beweis könne weiterhin erhoben werden, weil das Rohr noch im Erdreich liege; der Beton im Rohr belege, dass die Beklagte zu 3. es vor dessen Verfüllung gesehen habe. Er habe zum Beweis seiner Behauptung, dass die Beklagte zu 3. im Zuge der Erneuerungsarbeiten den alten Sinkkasten einschließlich seiner Verbindungsleitungen komplett entfernt und deshalb auch die Abflussleitung bemerkt habe, zulässigerweise die Vorlage der Ausschreibungsunterlagen, der Aufmaßzettel und der alten und neuen Bestandspläne durch die Beklagten angeboten; das Landgericht habe diesen Beweis verfahrensfehlerhaft nicht erhoben.
Der Kläger beantragt,
unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils die Beklagten gesamtschuldnerisch zur Zahlung von 9.973,11 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28.8.2003 zu verurteilen.
Die Beklagten beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat durch Vernehmung der Zeugin Z1 Beweis erhoben; wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme verweist er auf die Sitzungsniederschrift vom 18.10.2006 (Bl. 324 d. A.).
B. Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet. Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
I. Der Kläger hat gegen die Beklagte zu 1. keinen Anspruch auf Schadensersatz. Rückstauschäden sind nicht verschuldensunabhängig nach § 2 Abs. 1 Satz 1 HPflG zu ersetzen, vielmehr kommen insoweit nur - jeweils ein Verschulden voraussetzende - Ansprüche aus § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG und Ansprüche aus Pflichtverletzungen im Rahmen des die Kanalbenutzung betreffenden öffentlich-rechtlichen Schuldverhältnisses in Betracht (vgl. BGH VersR 1999, 230 f. [juris-Rn. 4]). Zureichende Anhaltspunkte für ein Verschulden der Beklagten zu 1. fehlen. Diese genügte ihren Sorgfaltspflichten zum Schutz des vom Kläger teilweise besessenen Grundstücks hier wie regelmäßig schon dadurch, dass sie sorgfältig ausgewählte, fachkundige Ingenieure und Bauunternehmer mit der Lösung der anfallenden bautechnischen Aufgaben und deren sachgemäßer Durchführung betraute (vgl. BGHZ 147, 45, 48; ähnlich BGH NJW-RR 1988, 136 ff. [unter II 2 der Entscheidungsgründe]). Für eine Anwendung des § 831 BGB ist von vornherein deshalb kein Raum, weil die Beklagten zu 2. und 3. als selbständige Unternehmer nicht Verrichtungsgehilfen der Beklagten zu 1. waren.
II. Auch eine Haftung der Beklagten zu 2. kommt nicht in Betracht, weil der Kläger nicht nachgewiesen hat, dass dieser ein schuldhaftes Verhalten zur Last fällt. Die Beklagte zu 2. musste an dem Sinkkasten oder an dessen Abflussleitung zum Kanal hin mit einer Abflussleitung vom Grundstück der Großmutter des Klägers nicht rechnen und eine solche bei der Bauaufsicht auch nicht ohne Weiteres bemerken. Angesichts dessen kann dahinstehen, ob der Vertrag zwischen den Beklagten zu 1. und 2. Schutzwirkungen zugunsten des Klägers entfaltete oder ob dies im Hinblick auf einen verschuldensunabhängigen Schadensersatzanspruch des Klägers gegen seine Großmutter als Vermieterin nach § 536a Abs. 1 Alt. 1 BGB mangels der erforderlichen Schutzbedürftigkeit (vgl. Palandt-Grüneberg, BGB, 65. Aufl., § 328 Rn. 18 m. w. N.) nicht der Fall war.
III. Der Kläger kann seinen Schaden nicht von der Beklagten zu 3. ersetzt verlangen, weil er auch ihr gegenüber den ihm obliegenden Nachweis eines Verschuldens nicht geführt hat. Für die Beklagte zu 3. gilt wie für die Beklagte zu 2., dass sie an dem Sinkkasten oder an dessen Abflussleitung zum Kanal hin mit einer Abflussleitung vom Grundstück der Großmutter des Klägers nicht rechnen musste. Ein Verschulden der Beklagten zu 3. wäre nur dann anzunehmen gewesen, wenn ihre Mitarbeiter das Abflussrohr bei ihren Arbeiten gesehen hätten, denn in diesem Fall hätten sie diesbezüglich Nachforschungen anstellen müssen. Der Indizienbeweis für eine positive Kenntnis der Mitarbeiter der Beklagten zu 3. von jener Abflussleitung ist indessen nicht geführt.
1. Der Kläger hat nicht bewiesen, dass die Leitung unmittelbar am Sinkkasten angeschlossen war, so dass sie den Mitarbeitern der Beklagten zu 3. auch bei dessen nur teilweiser Entfernung unübersehbar auffallen musste. Die Zeugin Z1 hat keinerlei Angaben zur Lage der Abflussleitungen machen können, weshalb sich die Vernehmung des hierzu gegenbeweislich angebotenen Zeugen Z2 erübrigte. Das vom Kläger hierzu weiter angebotene Sachverständigengutachten war mit Rücksicht darauf nicht einzuholen, dass der ursprüngliche Zustand nach den auf den Wasserschaden folgenden Sanierungsarbeiten unstreitig nicht mehr gegeben ist; aus demselben Grund ist heute auch durch ein Sachverständigengutachten nicht mehr aufzuklären, ob die Straße im Zuge der eigentlichen Kanalbaumaßnahme so tief ausgekoffert war, dass die fragliche Abflussleitung unübersehbar auffallen musste.
2. Dass diese Leitung durch Beton verstopft ist, belegt die klägerische Annahme einer positiven Kenntnis der Beklagten zu 3. nicht. Die Leitung kann auch durch zunächst flüssigen Beton verstopft worden sein, der vom Sinkkasten in sie hinein floss, ohne dass die Beklagte zu 3. sie bemerkte.
3. Die Ausführungen des Klägers zu Schlüssen aus aktenkundigen Lichtbildern und Bestandsplänen der Beklagten zu 1. sind nicht nachvollziehbar.
4. Den vom Kläger angebotenen Urkundenbeweis dafür, dass die Beklagte zu 3. bereits im Zuge der ursprünglichen Kanalbaumaßnahme den Sinkkasten und dessen Anschlussleitungen komplett entfernte, so dass sie auch die streitige Abflussleitung bemerkte, hat das Landgericht im Ergebnis zu Recht nicht erhoben.
a) Die Ausschreibungsunterlagen der Beklagten zu 1. erlauben keinen hinreichend sicheren Schluss darauf, wie die Baumaßnahme im Detail tatsächlich ausgeführt worden ist. Die Beklagte zu 3. hat unwiderlegt behauptet, sie sei an der Baustelle von der Beklagten zu 2. mündlich angewiesen worden, den unteren Rest des alten Sinkkastens mit Beton zu verfüllen. Derartige Abweichungen von der einer Ausschreibung zugrunde liegenden Planung kommen im Baualltag nicht selten vor.
b) Dem Senat erscheint zweifelhaft, ob dem Bautagebuch und Aufmaßzetteln aus ähnlichen Erwägungen jegliche Beweiseignung abgesprochen werden können, wie das Landgericht gemeint hat. Dies bedarf keiner Entscheidung, ebenso wenig die Frage, ob diese Beweisangebote als solche "ins Blaue hinein" unbeachtlich oder deshalb beachtlich sind, weil der Kläger den Inhalt der Urkunden nicht kennen und es ihm nicht verwehrt werden kann, insoweit Vermutungen vorzutragen (vgl. hierzu etwa BGH NJW 1995, 2111, 2112). Entscheidend ist, dass die Beklagten nicht dazu verpflichtet sind, diese Urkunden vorzulegen (§§ 422 f. ZPO, nachfolgend 1 f.), und dass deshalb auch keine Vorlegungsanordnung nach § 142 Abs. 1 Satz 1 ZPO in Betracht kommt (nachfolgend 3).
(1) Die Beklagten haben sich nicht auf das Bautagebuch oder auf Aufmaßzettel berufen, so dass sie nicht nach § 423 ZPO zur Vorlegung dieser Urkunden verpflichtet sind.
(2) Eine Vorlegungspflicht folgt nicht aus § 422 ZPO. Der Kläger hat keinen materiell-rechtlichen Anspruch gegen die Beklagten auf Herausgabe oder Vorlegung der genannten Urkunden.
(i) Die Voraussetzungen des § 810 BGB sind nicht gegeben. Die genannten Urkunden wurden nicht im Interesse des am Bauvertrag unbeteiligten Klägers errichtet. Sie beurkunden kein Rechtsverhältnis, an dem er beteiligt ist, und auch keine "Verhandlungen" über ein Rechtsgeschäft unter seiner Beteiligung.
(ii) Eine Vorlegungspflicht lässt sich nicht auf § 242 BGB stützen. Es fehlt an der erforderlichen Sonderverbindung zwischen den Parteien (vgl. Palandt-Heinrichs, BGB, 65. Aufl., § 261 Rn. 9). Bei deliktischen Schadensersatzansprüchen kommt eine Auskunftspflicht nach Treu und Glauben nur dann in Betracht, wenn bis auf den Schaden alle Anspruchsvoraussetzungen feststehen (vgl. Palandt-Heinrichs a. a. O. Rn. 11). Der Kläger will mit den genannten Urkunden erst den Beweis eines Delikts führen.
(3) Bei dieser Sachlage kann der Senat eine Vorlegung auch nicht nach § 142 Abs. 1 Satz 1 ZPO anordnen. Dabei kann dahin stehen, ob diese Vorschrift überhaupt eine Beweisaufnahme von Amts wegen ermöglicht (vgl. dagegen mit beachtlichen Gründen Gruber/Kießling ZZP 116 [2003], 305, 314 f.). Die Neufassung der Vorschrift hat jedenfalls die in §§ 422 f. ZPO gezogenen Grenzen einer Vorlegungspflicht unberührt gelassen und nichts an dem bewährten Grundsatz des deutschen Zivilprozessrechts geändert, dass keine Partei gehalten ist, dem Gegner für seinen Prozesssieg das Material zu verschaffen, über das er nicht schon von sich aus verfügt (vgl. BGH NJW 1990, 3151). Dem Gegner der beweispflichtigen Partei darf deshalb nach § 142 Abs. 1 Satz 1 ZPO die Vorlegung von Urkunden nur unter den Voraussetzungen der §§ 422 f. ZPO aufgegeben werden (Vgl. MünchKommZPO-Peters, 2. Aufl., § 142 Rn. 10; Stein-Jonas/Leipold, ZPO, 22. Aufl., § 142 Rn. 21; a. A. Kraayvanger/Hilgard NJ 2003, 572 ff.; Musielak-Stadler, ZPO, 4. Aufl., § 142 Rn. 5, 7; Zekoll/Bolt NJW 2002, 3129, 3130), die im Streitfall - wie ausgeführt - nicht vorliegen.
IV. Die Revision war zuzulassen, weil die oben B.III.4.b)(3) angesprochene, im Schrifttum umstrittene Frage der Auslegung des § 142 Abs. 1 Satz 1 ZPO grundsätzliche Bedeutung hat (§ 543 Abs. 2 ZPO). Die übrigen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Ende der Entscheidung
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